Pressemitteilung vom 28.10.2008

Langzeitvorhaben der Akademie der Wissenschaften in Hamburg

Im Januar 2009 beginnt ein Langzeitprojekt der Akademie der Wissenschaften in Hamburg zur Entwicklung eines korpusbasierten elektronischen Wörterbuches Deutsche Gebärdensprache (DGS) — Deutsch. Das Projekt wird aus Mitteln des Akademienprogramms mit ca. € 8,5 Mio. über eine Laufzeit von 15 Jahren gefördert und am Institut für Gebärdensprache und Kommunikation Gehörloser der Universität Hamburg durchgeführt. Es stellt einen Meilenstein in der Erforschung der Deutschen Gebärdensprache Gehörloser dar. Die Leitung liegt in den Händen von Prof. Siegmund Prillwitz und Prof. Christian Rathmann.


Das Projekt verbindet zwei Ziele miteinander: zum einen die Sammlung und Aufbereitung gebärdensprachlicher Daten in einem annotierten Korpus und zum anderen die Erstellung eines elektronischen Wörterbuchs Deutsche Gebärdensprache — Deutsch. Das Korpus umfasst mehrere hundert Stunden Videoaufnahmen, die bundesweit bei ca. 250 gehörlosen Informanten erhoben und anschließend in einer eigens entwickelten Datenbank systematisch verarbeitet und analysiert werden. Dieses Gebärdensprachkorpus ist vergleichbar mit großen Korpora gesprochener Sprachen. Es bildet nicht nur die Basis für die linguistisch abgesicherte Erstellung eines DGS-Wörterbuchs, sondern bietet darüber hinaus langfristig eine Vielzahl von Möglichkeiten zur empirisch fundierten Erforschung der DGS hinsichtlich Grammatik, Bedeutungsstruktur und Verwendung. Das Wörterbuch wird ca. 6000 Einträge umfassen. Aufgrund der lexikalischen Struktur von Gebärdensprachen entspricht dies einem Vielfachen dieser Zahl in Lautsprachen. Die Auswahl der Einträge wird sich dabei in erster Linie auf die tatsächliche Gebärdenverwendung stützen, wie sie im Korpus dokumentiert ist. Bei diesem Ansatz wird von der Gebärdensprache ausgegangen. Dadurch kann der gebärdensprachliche Wortschatz besser erfasst und repräsentiert werden, als dies durch das Ausgehen von einer deutschen Wortliste möglich wäre. Das zu erstellende elektronische Wörterbuch präsentiert die Gebärdenzeichen als Filme und bietet im Vergleich zu einem Buch differenziertere Zugriffs-, Such- und Anzeigeoptionen, z.B. eine Suche nach Gebärdenform.

Die Gebärdensprachen Gehörloser haben sich über Jahrhunderte in den verschiedenen nationalen und regionalen Gehörlosengemeinschaften als natürliche Sprachen entwickelt. Die traditionelle Gehörlosenpädagogik war bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts auf die Lautsprache fixiert und wertete die Gebärdensprachen als bloßes nicht-sprachliches Gestikulieren ab; auch von der Sprachwissenschaft wurden sie kaum als adäquater Forschungsgegenstand wahrgenommen. Diese ablehnende Haltung hat sich in Deutschland erst seit gut einem Jahrzehnt geändert. Heute sind Gehörlose als Mitglieder einer sprachlichen Minderheit weitgehend anerkannt und ihre Gebärdensprache findet immer mehr Verwendung in Erziehung, Bildung, Beruf und Alltag.

Die korpusbasierte linguistische Grundlagenforschung zur DGS befindet sich erst im Aufbau. Sie ist jedoch die Voraussetzung für die Entwicklung von Lehr- und Lernmaterialien und eine fundierte Verwendung der DGS insbesondere in der Gebärdensprachlehre und im schulischen Bereich. Hierbei kommt dem neuen Projekt eine herausragende Bedeutung zu.

Für die Gebärdensprachgemeinschaft hat die Erstellung eines DGS-Wörterbuchs zudem einen hohen ideellen Wert und trägt zur Dokumentation sowie zur weiteren gesellschaftlichen Akzeptanz ihrer Sprache bei. Die Sprachgemeinschaft ist von Anfang an durch die aktive Mitarbeit bei der Korpuserstellung beteiligt und durch eine internet-basierte Bewertung sowie eine ausgewählte Gruppe von Muttersprachlern aus verschiedenen Regionen auch in die Auswertung mit einbezogen. (Siehe Mitarbeit.)

Zielgruppe des Wörterbuchs sind Lerner mit Deutsch als Muttersprache (z.B. Eltern und Lehrer gehörloser Kinder), professionelle Gebärdensprachdolmetscher, gehörlose DGS-Muttersprachler (gehörlose Erwachsene, Kinder gehörloser Eltern, gehörlose Kinder und Schüler, die DGS als Muttersprache erlernen), Gebärdensprachkursleiter, Linguisten, Sprachtypologen. Um die vielfältigen Verwendungsinteressen der verschiedenen Gruppen zu berücksichtigen, ist eine Befragung zu Bedürfnissen und Wünschen der potenziellen Nutzer vorgesehen. Da das Wörterbuch in unterschiedlichen Lernsituationen, übersetzungs- und Dolmetschkontexten Verwendung finden soll, ist es zweisprachig konzipiert und ermöglicht den Zugriff auf die Inhalte über beide Sprachen, DGS und Deutsch. Das Projekt wird in enger internationaler Kooperation mit führenden Einrichtungen zur Gebärdensprachforschung insbesondere in Europa, den USA und Australien durchgeführt.

 

Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg

Der Akademie der Wissenschaften in Hamburg, die 2004 gegründet wurde, gehören herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aller Disziplinen aus dem norddeutschen Raum an. Als Arbeitsakademie will sie dazu beitragen, die Zusammenarbeit zwischen Fächern, Hochschulen und anderen wissenschaftlichen Einrichtungen zu intensivieren. Sie fördert Forschungen zu gesellschaftlich bedeutenden Zukunftsfragen und wissenschaftlichen Grundlagenproblemen und macht es sich zur besonderen Aufgabe, den Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit anzuregen. Als Körperschaft des öffentlichen Rechts wird sie von der Freien und Hansestadt Hamburg finanziert. Die Akademie der Wissenschaften in Hamburg ist Mitglied der Akademienunion. Diese koordiniert das von Bund und Ländern getragene Akademienprogramm, aus dessen Mitteln das Projekt finanziert wird.

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